Jenseits des toten Todes

Eine Osterbetrachtung

Auferstehung2
Armlet Auferstehung (Louvre)

▶︎ Eine Zeitlang war es theologisch in Mode, von der „Sache Jesu“ zu reden, die „weitergehe“. Christi Auferstehung musste ja „spiritualisiert“, von der Grobheit des Materiellen gereinigt werden. Im Grunde war es die kaum verhohlene Andeutung, was uns mit der Osterbotschaft eigentlich erreiche, sei ein Echo aus der Gruft der Zeit: die Stimme eines Toten.
▶︎ Solchem Denken lagen aber als dicke Stolpersteine die kräftigen Worte des heiligen Paulus im Wege: Entweder ist der Herr wirklich auferstanden oder er ist es nicht. Wenn nicht, „dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ und wir sind „erbärmlicher daran als alle anderen Menschen“ (1Kor 15, 14; 19). Wenn ja, dann folgen Christen letztlich nicht der Lehre eines Toten, sondern der Person eines Lebenden. Nicht ein Leichnam spricht dann zu uns oder der Geist eines Abgeschiedenen, sondern der, der selbst die Fülle des Lebens ist.

Dünner Spiritualismus und heilsamer Materialismus
▶︎ Vermutlich dachten die Jünger, als sie dem Auferstandenen begegneten, eher „spiritualistisch“ als „materialistisch“. Wäre ihnen Jesu wie ein „Geist“ erschienen, hätten sie wohl erschüttert reagiert und sich dann den Tatsachen gebeugt. Aber der Herr zeigt sich ihnen materiell, wirklich, leibhaftig. Er verweist auf die Wunden seiner Hände und seiner Füße, die jetzt „leuchten in Herrlichkeit“ (Ostervigil, Bereitung der Osterkerze) – und will sogar Mahl mit ihnen halten. Wie früher.
▶︎ Ließe sich nicht von diesem „Materialismus“ her, den der Auferstanden damals so deutlich machte, eine erneuerte Art gewinnen, sich dem österlichen Geheimnis zu nähern? Anscheinend hängen viele Christen – womöglich ganz unbewusst – an einem „spiritualistischen“, einem allzu spiritualisierten Verständnis dessen, was Auferstehung meint. Ostern erscheint dann als eine alljährliche, selbstverständliche Wiederkehr neuen Lebens wie der Frühling. Dieser eingebettet in den Kreislauf der Natur, Ostern eingebettet in den Zyklus unserer Feiertage: Nichts als der vertraute und verständliche Rhythmus des Stirb und Werde, des Kommens und Gehens. Da bleibt kein Raum für wirklich Neues, kein Raum für wirkliches Staunen. Doch nein: Ostern ist nicht bloß die jährlich wiederkehrende Feier des Lebens, sondern die staunenswerte Realität, die damals vor zweitausend Jahren wirklich, real, leibhaftig geschah und deshalb jeden Tag wirklich und präsent bleibt.

Schrittweise zur Klarheit
▶︎ Die Jünger werden am Ostertag von ihrem engen „Spiritualismus“ geheilt und öffnen sich schrittweise dem Staunen. Als ersten Schritt machen sie eine noch unpräzise Erfahrung: Einige wenige – zuerst die Frauen, dann die beiden Wanderern nach Emmaus – versichern, den Herrn gesehen zu haben. Es geht also doch irgendwie weiter mit Jesus. Aber wie denn? „Sie redeten darüber“, heißt es (Lk 24,36). Verständlich, wenn sie dabei die Ebene des Denkbaren und Vorstellbaren nicht überschritten: Wenn er den Frauen und den beiden Wanderern tatsächlich erschienen ist, dann kann das nur sein Geist gewesen sein. Geister sind unnatürlich und damit unheimlich. Dieser erste Schritt bringt den Jüngern daher noch keinen Frieden. An die Stelle der Niedergeschlagenheit seit Jesu Bestattung tritt nur das unklare Grauen vor etwas bedrohlich Übersinnlichem. Womöglich bedrängt sie gar die Furcht, der Herr könnte sie zur Rechenschaft ziehen, ihnen Vorwürfe machen.
▶︎ Der zweite Schritt führt die Jünger zur freudiger Gewissheit. „Während sie darüber redeten“, ist Jesus mitten unter ihnen. Sie hören unzweideutig seinen wohlvertrauten Friedensgruß. – Er ist kein Geist, sondern einfach er – er selbst, leibhaftig, in Person. Denn „er zeigte ihnen seine Hände und Füße“ – durchbohrt als Erweis seiner Identität mit dem vor drei Tagen Gekreuzigten, aber weder geisterhaft gruselig, noch blutig anklagend. Vielmehr werden seine leuchtenden Wunden zu Signalen seines Triumphes über Tod und Sünde. Als möchte Jesus seine Jünger auf diese neue, körperliche, „materialistische“ Sicht seines auferstandenen Leibes festlegen, fragte er sie: „Habt ihr etwas zu essen hier?“ Und er isst vor ihren Augen Fisch und Honig und setzt so die frühere Mahlgemeinschaft mit ihnen fort.

Entfaltete Leiblichkeit
▶︎ Wir können das Ereignis heute theologisch klarer deuten als damals die Jünger: Die Menschwerdung des göttlichen Logos ist durch den Tod nicht zurückgenommen, sie hat sich vielmehr voll entfaltet. Im auferstandenen Herrn wird eine Weise der Leiblichkeit sichtbar, die ahnen lässt, was Vollendung des Menschen bei Gott sein kann, wenn wir nicht mehr „in einen Spiegel schauen“ und nur „rätselhafte Umrisse“ erkennen (1 Kor, 13,12).
▶︎ Zugleich ahnen wir, wie groß der Mensch ist, und auch – ein aktueller Gedanke zu Zeiten platter Materialismen – wie geheimnisvoll vielfältig Materie sein kann. Denn unsere naive Gewissheit bei der Bewertung naturwissenschaftlicher Weltbilder ist ins Wanken geraten, da sogar Physiker von realen Zuständen der Materie sprechen, die für uns unvorstellbar sind und ganz anders als die scheinbar platte Materialität des Tisches, an dem wir sitzen.
▶︎ Ein letzter Schritt führt die Jünger ins volle Licht. Der Auferstandene „öffnete ihnen die Augen für das Verständnis der Schrift“ (Lk 24,45). Natürlich geht es hier nicht um ein gelehrtes Verstehen, sondern – vom Glauben – her um die tiefere Sicht der Zusammenhänge. Alles, was Ärgernis war, wird zum Erweis von Gewissheit: Er, der Sohn Gottes, hat den Tod und die Sünde vernichtet, er ist unter uns. Aber nicht als einer, der in das alte Leben zurückgekehrt wäre, sondern als jener, der ein neues Leben bringt, jenseits des toten Todes.
▶︎ Wie herrlich kündet uns die Ostervigil das „Lumen Christi“, das Licht Christi! Der leibhaftige Jesus ist und bleibt unter uns. Er selbst! – nicht sein Geist, nicht seine „Sache“, nicht bloß seine Ideen. „Christus, der auferstandene Christus, ist unser Begleiter und Freund; ein Begleiter, der nur wie durch Schatten hindurch sichtbar wird, dessen Wirklichkeit jedoch unser ganzes Leben erfüllt und uns seine endgültige Gegenwart herbeisehnen lässt.“ ( Josemaría Escrivá, Christus begegnen 116)