München - Bürgersaal: Kreuzweg in der Unterkirche - Photo: Andreas Praefcke - Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons
▶︎ Der Evangelist Markus – immer ein Beobachter feiner Nuancen – schildert die gespannte Stimmung jener Tage, da Jesus eiligen Schrittes unterwegs zur Heiligen Stadt ist: „Während sie auf dem Weg hinauf nach Jerusalem waren, ging Jesus voraus. Die Leute wunderten sich über ihn, die Jünger aber hatten Angst.“ (Mk 10,32) Ein schwermütiges Fluidum liegt in der Luft. Bei den Leuten ahnungslose Verwunderung, bei den Jüngern vielleicht schon die dunkle Ahnung, sie gingen jener unfassbaren Ankündigung Jesu entgegen, man werde ihn „verspotten, anspucken, geißeln und töten“ (vgl. Mk 10,34)
▶︎ Das damalige Mitgehen der Jünger mit Jesus hat im Laufe der Jahrhunderte eine Andachtsübung hervorgebracht, in welcher die Gläubigen in teilnehmender Liebe die Schritte des letzten Weges unseres Herrn mitgehen.
▶︎ Die Urgestalt der jetzigen Kreuzwegandacht entstand in Jerusalem, als schon sehr früh Christen den Leidensweg Jesu an Ort und Stelle zugleich abgehen und nachempfinden wollten. Später wurde der „Kreuzweg“ zu einer festen Andacht, nicht mehr an die Heilige Stadt gebunden und immer mehr als ein geistliches Nachgehen empfunden – im Freien oder in einer Kirche. Gefördert vor allem von den Franziskanern, hatte der fromme Brauch um das 15. Jahrhundert seine gegenwärtige Form mit vierzehn Stationen gefunden.
▶︎ Jede der vierzehn Stationen bietet Anregungen für das persönliche Beten, ebenso für das gemeinsame Mitgehen. Hilfreich dabei sind die meditativen Impulse geistlicher Schriftsteller wie Josefmaria Escrivá, Romano Guardini oder Hans Urs von Balthasar, ebenso von Papst Johannes Paul II noch als Karol Wojtyla, und vor allem von Papst Benedikt XVI. Dieser verfasste noch als Kardinal Ratzinger den Kreuzweg vom Karfreitag 2005 auf dem römischen Kolosseum.
In seinem immer wieder neu aufgelegten „Kreuzweg“ – erste Auflage 1919 – schreibt Romano Guardini: „Der Beter sollte in den einzelnen Stationen sein eigenes Leben wieder finden; sollte seine tägliche Not in Verbindung sehen mit der des Herrn und daraus Einsicht und Kraft schöpfen, sein Leiden nicht nur zu tragen, sondern auch zu besiegen.“
Der Gott, der selbst mit den Menschen mit-leidet
▶︎ Der Kreuzweg verbindet Gehen und Schauen, Schweigen und Singen. Die Strenge der Liturgie und die Knappheit der Passionsberichte sind aufgebrochen, um Raum zu geben für das eigene betende Empfinden. Die meisten Stationen spiegeln einzelne, aus den Evangelienberichten herausgegriffene Episoden aus Jesu Leidengeschichte. Andere gehen auf fromme Legenden zurück, etwa die Gestalt der Veronika. Wieder andere prägen den grausam dramatischen Verlauf in feste Bilder, die der Betrachter ruhig in sich aufnehmen kann. So der dreimalige Fall Jesu unter der Last des Kreuzes.
▶︎ „Der Kreuzweg zeigt uns den Gott, der selbst mit den Menschen mit-leidet, dessen Liebe nicht in einer fernen Höhe unberührt bleibt, sondern heruntersteigt zu uns, bis in den Tod am Kreuz hinein (vgl. Phil 2, 8). Der mit-leidende Gott, der Mensch wurde, um unser Kreuz zu tragen, will unser steinernes Herz verwandeln und uns zum Mit-leiden rufen, uns das „Herz von Fleisch“ geben, das nicht an der Not des anderen vorübergehen kann, sondern sich verwunden lässt und zur heilenden und helfenden Liebe führt.“
Das Geschaute erleben
▶︎ Eindringlich rät der hl. Josefmaria: „Willst du Jesus auf seinem Wege begleiten, Ihm nah, ganz nah? ... Schlag das heilige Evangelium auf und lies die Leidensgeschichte des Herrn. Aber lies sie nicht nur, sondern erlebe sie. Das ist ein großer Unterschied. Bloß lesen heißt sich Vergangenes in Erinnerung rufen; miterleben aber bedeutet dabeisein, unmittelbar am Geschehen, das sich hier und jetzt vollzieht, teilnehmen als einer unter den Anwesenden.“ (Der Kreuzweg, 9. Station)
▶︎ Es ist nicht schwer, sich in das Geschehen hineinzuversetzen: Pilatus und die Gaffer am Wegesrand, Veronika, Simon von Zyrene, die klagenden Frauen ... Sie alle erleben es verschieden, und entsprechend verhalten sie sich.
▶︎ Manchmal gibt das Evangelium selbst einen Hinweis auf die Folgen der Begegnung mit dem leidenden Herrn. Simon von Zyrene kommt gerade vom Feld, ist müde und hat nicht vor, sich auf das Geschehen um jenen unbekannten Kreuzträger einzulassen. Aber die Soldaten zwingen ihn, für Jesus das Kreuz zu tragen. Auch hier zeigt sich Markus als feiner Beobachter, als er anmerkt, dieser Simon sei „der Vater des Alexander und des Rufus“ (Mk 15,21). Anscheinend waren seine Söhne in der späteren christlichen Urgemeinde wohlbekannt. Der Betende ahnt, dass der Blick Jesu auf den zunächst widerwilligen Simon am Anfang der Bekehrung seiner ganzen Familie stehen sollte.
▶︎ Auch die Veronika-Episode ist reich an Anregungen. Das Evangelium weiß nichts von der frommen Frau, deren Namen als Veronika, Vera icon, „wahres Bild“ überliefert wird. Entschlossen und zugleich voll Mitleid bahnt sie sich einen Weg durch die Menge und reinigt das mit einem Tuch, in welchem dann das „Haupt von Blut und Wunden“, die vera icon des Erlösers eingeprägt bleibt.
▶︎ „Sie lässt sich von der Brutalität der Soldaten nicht anstecken, von der Angst der Jünger nicht lähmen. Sie ist das Bild der gütigen Frau, die in der Verstörung und Verfinsterung der Herzen den Mut der Güte behält, ihr Herz nicht verfinstern lässt.“ (Ratzinger, Kreuzweg am Kolosseum, Karfreitag 2005, 6. Station) Mitleid, Erbarmen – und auch Zivilcourage. Man möchte diese Veronika zur Schutzheiligen all jener nehmen, die mutig angehen gegen den Strom öffentlicher Launen, ideologischer Trends und banaler Moden.
▶︎ Im Kontrast zur beherzten Tat der Veronika stehen in der 8. Station die weinenden Frauen am Rande von Jesu Leidensweg. Sie stimmen nicht ein in den Chor der tobenden Gaffer im Zug. Aber wir ahnen, wie wenig „Betroffenheit“ gilt, wenn sie über gefühliges Klagen nicht hinausreicht.
▶︎ Die Begegnung des kreuztragenden Herrn mit der Mutter mündet ein in das Stehen Mariens zu Füssen des Kreuzes: „Die Jünger sind geflohen, sie flüchtet nicht. Sie steht da mit dem Mut der Mutter, mit der Treue der Mutter, mit der Güte der Mutter und mit ihrem Glauben, der in den Finsternissen widersteht.“ (Ratzinger, Kreuzweg am Kolosseum, Karfreitag 2005, 4. Station)
▶︎ Mit Maria zusammen begleitet der Beter den Herrn bis an sein Grab. „Und es ist uns, als wetterleuchte schon die nahende Osterherrlichkeit um den stillen Ort.“ (Romano Guardini, Kreuzweg)