Mit Leib und Seele himmelwärts

Zum Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel am 15. August

MariaHimmelfahrt
Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel, Abbaye de Mondaye, Normandie

▶︎ Die Bibel schweigt über die Aufnahme unserer Lieben Frau in den Himmel. Aber es entspricht der Struktur des Katholischen, dass die Kirche „ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft“ (Katechismus der katholischen Kirche 82). Und auch Bilder gehören zur Sprache der Offenbarung – mit allem, was in ihnen verhüllt liegt und allmählich entschleiert wird.
▶︎ Ein Bild steht im Buch Genesis gleich am Anfang der Heiligen Schrift als Verheißung vom Sieg über die Schlange: Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse. (Gen 3,16). Ein anderes Bild steht am Ende, in der Offenbarung des Johannes: Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Eine Frau, umgeben von der Sonne, den Mond unter ihren Füßen, und einen Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. (Offbg 11,19).
▶︎ Das erste Bild deutet auf Sünde, Tod, Verheißung und Vollendung hin und entfaltet sich in der lebendigen Tradition der Kirche. Schon im zweiten Jahrhundert erkennt man in Maria die neue Eva. Nach dem Kirchenvater Irenäus wurde Eva mit ihrem Ungehorsam „für sich und das ganze Menschengeschlecht zu Ursache des Todes“, Maria „für sich und das ganze Menschengeschlecht zu Ursache des Heils.“ Auch die Szene vom „großen Zeichen am Himmel“ entfaltet sich. In gleichsam stereoskopischer Sehweise erkennen die Kirchenväter in der „Frau“ der apokalyptischen Vision das Bild der Kirche und zugleich das Bild Mariens. Ebenso die Liturgie. Die Präfation der Festtagsmesse verbindet Individuelles mit Universalem, Maria mit der Kirche, Vollendung in ihr mit Hoffnung für uns: Heute hast du die jungfräuliche Gottesmutter in den Himmel erhoben, als erste empfing sie von Christus die Herrlichkeit, die uns allen verheißen ist, und wurde zum Urbild der Kirche in ihrer ewigen Vollendung.

Die Mitte des Geheimnisses
▶︎ Manche wären ohne weiteres geneigt, eine spirituelle Erhebung der Frau aus Nazaret anzunehmen. Aber im Dokument der Dogmatisierung von 1950 heißt es, Maria wurde „nach Vollendung des irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen.“ Und da werden viele stutzig. Was heißt das, „mit Leib und Seele?“, fragen sie. 
▶︎ Tatsächlich beginnt hier – in der Mitte des Geheimnisses – das Ärgernis oder das Unverständnis vieler. Denn sie merken, dass die Glaubensaussage von Mariens Aufnahme in den Himmel keine private Auskunft über den irdischen Ausklang eines individuellen Schicksals ist. Darüber könnte ein Skeptiker schmunzelnd hinwegsehen. Aber das Dogma ist ein Bekenntnis zum Ganzsein des Menschen, ein Bekenntnis zum Leib, ja zur Materie. Unausgesprochen greift es die Urfrage des Menschen auf: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Der Katechismus (Nummer 362 und 364) antwortet mit klarer Sprache: „Die nach dem Bilde Gottes erschaffene menschliche Person ist ein zugleich körperliches und geistiges Wesen. (...) Der ganze Mensch ist von Gott gewollt. (...) Der Leib des Menschen hat an der Würde des Seins ‘nach dem Bilde Gottes´ teil: Er ist eben deswegen menschlicher Leib, weil er durch die geistige Seele beseelt wird.“ Dies ist die Antwort des Glaubens auf die verschiedenen Spielarten subtiler Spiritualismen und grober Materialismen aller Zeiten. Das, was an Maria geschieht, ist vorweggenommen der endgültige, gottgewollte Zustand des Leibes.
▶︎ Schon in den ersten Jahrhunderten musste sich die Kirche gegen eine Spiritualisierung des Glaubens wehren, die eine Menschwerdung Gottes für unwürdig und beschämend hielt. In der Nachkriegszeit, als Pius XII. das Dogma verkündete, sahen viele darin das notwendige Gegengewicht zu einer menschen- und lebensverachtenden Geisteshaltung, die sich nach den Schrecken des Krieges – teils heroisch verzweifelt, teils zynisch – in Nihilismus, Daseinsekel und Sinnlosigkeit äußerte. Fünfzig Jahre danach taucht die Verachtung des Leibes hinter der Maske eines banalen Kults wieder auf: Nihilismus und Lustprinzip degradieren den Leib zur Sache. Wie viel Not, wenn der Mensch zur Sache wird!

Betender Ausklang
▶︎ Jenseits der Theologie mag eine schlichte, leicht nachvollziehbare Empfindung Zugang zum Geheimnis bieten und das persönliche Beten beflügeln: Jesus will seine Mutter bei sich haben. Er selbst ist in der Herrlichkeit des Vaters ganz Gott und ganz Mensch. So will er sie bei sich haben als ganzen Menschen – mit Leib und Seele.
▶︎ Freuen wir uns darüber, „dass Maria, nachdem sie Jesus von Bethlehem bis unter das Kreuz  begleitet hat, ganz bei Ihm ist, mit Leib und Seele, und die Freude der ewigen Herrlichkeit genießt. Dies ist der geheimnisvolle Heilsplan Gottes: Unsere Liebe Frau, die zur vollen Teilhabe am Werk unserer Erlösung bestimmt wurde, sollte ihrem Sohn immer ganz nahe folgen: in der Armut von Bethlehem, im verborgenen Leben gewöhnlicher Arbeit in Nazareth, im Offenbarwerden der Göttlichkeit zu Kana in Galiläa, in der Schmach des Leidens und im göttlichen Opfer am Kreuz, in der ewigen Seligkeit des Himmels.
▶︎ Dies alles geht uns unmittelbar an, denn dieser übernatürliche Weg muss auch unser Weg sein. Maria zeigt uns, dass dies ein gangbarer, ein sicherer Pfad ist. Sie ist uns vorausgegangen auf den Spuren der Nachfolge Christi, und die Verherrlichung unserer Mutter ist die feste Hoffnung auf unser eigenes Heil; darum nennen wir sie spes nostra und causa nostrae laetitiae, unsere Hoffnung und Ursache unserer Freude.“ (Josemaría Escrivá, Christus begegnen 176)